LGBTIQ* in Ungarn

Von Budapest bis Berlin: Widerstand gegen CSD-Verbot in Ungarn

6. Mai 2025 Gábor Suranyi
Bild: Péter Brenner
Demonstrant*innen auf dem „Grey-Pride" in Budapest

Pride-Demos wurden verboten und Rechte von LGBTIQ* neuerlich eingeschränkt: Die politische Lage in Ungarn ist deprimierend. Aber es regt sich Widerstand, auch in der Berliner Exil-Community. Eine Bestandsaufnahme

„Jetzt kommt der große Osterputz: Die Wanzen haben überwintert“, sagte Viktor Orbán, Ungarns Regierungschef, in seiner jährlichen Bilanzrede im Februar. Die Wanzen seien unter anderem „scheinzivilgesellschaftliche“ Organisationen und politische Aktivist*innen, die seiner Meinung nach mit ausländischem Geld gegen Ungarn agieren. Dass jetzt etwas Großes auf ihre Community zukommt, wusste Luca Dudits, Vorstandsmitglied des ältesten ungarischen LGBTIQ*-Vereins Háttér Társaság, sofort. Und Orbán wurde noch konkreter: „Die Pride-Organisatoren sollen sich die Mühe sparen, den diesjährigen Marsch vorzubereiten.“

Sogenanntes „Kinderschutzgesetz" verbietet Pride

Das entsprechende Gesetzespaket zum Verbot des Pride folgte schnell: Eine Änderung des Versammlungsrechts verbietet Versammlungen, die gegen das sogenannte Kinderschutzgesetz verstoßen. Die dafür nötige Einschränkung der Grundrechte im Grundgesetz wurde trotz Protesten am 14.04. mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament beschlossen. Gesichtserkennungstechnologien können jetzt auch bei Ordnungswidrigkeiten eingesetzt werden – also auch bei Demos, die für illegal erklärt wurden. Für die Organisation und sogar die Teilnahme an solchen Versammlungen drohen Bußgelder bis zu 500 Euro, eine heftige Summe, die den ungarischen Nettomindestlohn weit übersteigt, erklärt die Aktivistin.

Die Begründung lautet offiziell „Kinderschutz“, ein Narrativ, das bereits in den letzten Jahren medial intensiv verbreitet wurde. Denn es ist nicht das erste Mal, dass die ungarische LGBTIQ*-Community ins Visier der eigenen Regierung gerät. Unter anderem wurde bereits 2021 die Änderung des Geschlechtseintrags untersagt, 2022 wurden Inhalte, die gleichgeschlechtliche Liebe oder trans* Personen zeigen, für Minderjährige stark eingeschränkt. Die oft unpräzisen Formulierungen der Gesetzestexte schaffen weitere Unsicherheit und fördern Selbstzensur.

Doch die Ungar*innen sind keineswegs so queerfeindlich, wie Orbáns Politik es vermuten lässt. Die Háttér Társaság führt jährlich repräsentative Umfragen zu LGBTIQ*-Themen durch, deren Ergebnisse eine stetige Verbesserung der gesellschaftlichen Akzeptanz zeigen – trotz jahrelanger, aggressiver Hasskampagnen der regierungstreuen Medien. Queere Personen dienen dabei als Thema zur Polarisierung. Während die konservative Öffentlichkeit Schreckensbilder von in Stringtangas tanzenden Männern entwirft, werden Versammlungsrechte eingeschränkt und die polizeiliche Erfassung wird ausgeweitet.

Der Kampf um die Existenz der queeren Community ist für Orbán lediglich eine zynische Scheindebatte, während er das Land weiter in eine autoritäre Richtung lenkt – in einen technologisch hochgerüsteten Polizeistaat.

Auswandern ist nicht für alle möglich

Trans* Menschen sind oft am stärksten betroffen. Als Teil der jetzigen Offensive wird die geschlechtliche Identität nicht mehr durch das Antidiskriminierungsgesetz geschützt, zudem wird medizinisches Fachpersonal im Falle geschlechtsangleichender Behandlungen kriminalisiert. Daraufhin stiegen die Zahlen der Menschen mit Auswanderungsüberlegungen in der Community erneut. Auswandern jedoch bleibt für viele unerreichbar. Aktivist Léna Hoschek ist einer, der Ungarn wegen der politischen Lage und für eine sichere Zukunft verließ. Berlin bietet ihm Vielfalt und Offenheit, aber auch notwendige medizinische Versorgung. Ohne geschlechtsangleichende Behandlungen kann er sich kein selbstbestimmtes Leben vorstellen.

Bild: Péter Brenner
„Make Hungary Grey Again“ – Demo-Teilnehmer*innen in Budapest

Lili Somogyi, eine deutsch-ungarische Aktivistin, fühlt sich jedoch verunsichert von Narrativen, die in der deutschen Öffentlichkeit auftauchen. Als Mitglied der politischen Diasporaorganisation Freie Ungarische Botschaft hat sie die Ausstellung „Illiberale Realitäten“ über ungarische Hetzkampagnen mitorganisiert und kennt die Mechanismen der rechtspopulistischen Propagandamaschine genau. Sie ist besorgt über die Ähnlichkeit der queer- und transfeindlichen Rhetorik zwischen der AfD und Orbáns Fidesz-Partei und über die enge Verbindung zwischen den beiden Parteichef*innen.

Der ungarische Ministerpräsident empfing Alice Weidel kurz vor den diesjährigen Bundestagswahlen persönlich in Budapest und sicherte öffentlich seine Unterstützung zu. Noch beunruhigender findet Lili, selbst trans Frau, Entwicklungen aus dem politischen Zentrum. Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD erwähnt trans* Personen und geschlechtliche Vielfalt nicht explizit und benennt den „wirksamen Schutz der Frauen“ als Grund zur Neuevaluierung des Selbstbestimmungsgesetzes (SGG).

„Das sind genau die gleichen Narrative, die die AfD verbreitet und die wir auch in Ungarn haben, dass vor allem trans* Frauen eine Bedrohung für cis Frauen darstellen. Und das ist falsch.“

„Das sind genau die gleichen Narrative, die die AfD verbreitet und die wir auch in Ungarn haben, dass vor allem trans* Frauen eine Bedrohung für cis Frauen darstellen. Und das ist falsch“, sagt Lili.

Es wäre nicht das erste Mal, dass die deutsche Politik Orbán hinterherläuft: Maßnahmen und Tonfall, die der ungarische Regierungschef 2015 in der Flüchtlingspolitik anschlug und für die er damals von deutschen Politiker*innen und Medien scharf kritisiert wurde, haben heute selbst Parteien wie die SPD übernommen.

Bild: Péter Brenner
In Ungarn regt sich Widerstand

Die Lage ist ernst, motivierend sind allerdings die seit Wochen anhaltenden Proteste und Brückenblockaden in Ungarn. Lili betont die Bedeutung internationaler Solidarität. Ende März organisierte sie gemeinsam mit polnischen und belarussischen Organisationen eine Solidaritätsdemonstration in Warschau – eine von vielen europaweiten Aktionen gegen das ungarische Pride-Verbot.

Im April fand die „Grey Pride“, auch als „Illiberale Pride“ bekannt, in Budapest statt – eine sarkastische Reaktion auf das CSD-Verbot. Demonstrierende kleideten sich in Grau und trugen Schilder mit Aufschriften wie „Tod den Farben“.

Diese Aktionen stärken den grenzüberschreitenden Zusammenhalt, geben südosteuropäischen Queers eine Stimme und wirken einer Berichterstattung entgegen, in der Widerstand oft nur am Rande erwähnt und mögliche Verbindungen zur deutschen Politik übersehen werden.

Tipps zur Unterstützung

Zum Schluss geben die in Berlin lebenden Aktivist*innen praktische Tipps zur Unterstützung: Wer die Möglichkeit hat, sollte trotz der drohenden Geldstrafen am 28. Juni zur Budapest Pride fahren, die trotz Verbotes abgehalten werden soll. Je mehr Menschen mitmachen, desto sicherer wird es für alle Teilnehmenden. Ebenso wirkungsvoll sei es, bei den eigenen Bundestags- und Europaparlamentsabgeordneten Druck auf die Fidesz-Regierung einzufordern. Zudem könne man ungarische Organisationen, insbesondere kleinere lokale Gruppen, finanziell unterstützen, um ihren Widerstand zu stärken. „Wenn die Queers eines Landes unter Attacke geraten, sind wir alle unter Attacke“, so Lili.

Infos und Anlaufstellen:

Budapest Pride
@budapestpride

Freie Ungarische Botschaft
freieungarischebotschaft.de, @freie_ungarische_botschaft

Háttér Társaság
en.hatter.hu, @hattertarsasag

Hungarian Civil Liberties Union
hclu.hu, @ataszjelenti

Transvanilla Association
transvanilla.hu/support-transvanilla, @transvanilla.official

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