Kommentar

Wie wir in der Krise lernten, den Staat zu lieben!

10. Apr. 2020 Doris Belmont
Doris Belmont

Im Kampf gegen das Coronavirus befürworten viele harte staatliche Maßnahmen wie Bußgelder, Kontrollen oder Überwachung. Doris Belmont ruft dazu auf, trotz Angst und Ungewissheit kritisch zu bleiben

„Ich vereinsame in meiner Miniwohnung“; „Was ist so schwierig daran, einfach zuhause zu bleiben?“; „Unsere Grundrechte werden ausgehebelt“; „Es geht jetzt um wichtigeres als unser Wohlstandsego!“ Sätze wie diese sind derzeit überall zu vernehmen. Die Rebellen provozieren die Folgsamen und die Selbstlosen verurteilen die Egoisten. Wieder einmal wird die altbewährte Frage „wer ist schuld“ hervorgekramt, denn wir wissen ja, im Zweifel sind das immer die anderen.

Das klingt, ganz klar, nach einem stark emotional aufgeladenen Klima. Nun, verschleiert durch Umschreibungen wie „die derzeitige Situation“ oder „die Krise“ offenbart sich doch, dass Corona längst nicht mehr „nur“ eine Pandemie, sondern auch der Name eines Komplexes ist, der insbesondere für eines steht: Angst und Ungewissheit.

„Einige bemängeln, die Bereitschaft, sich in diesen Zeiten zurückzunehmen, sei zu gering. Es brauche schwerere Strafgebühren und härtere Regeln.“

Nach der ersten Schockwelle, in der ein Großteil der Menschen den kurzfristig gesetzten Sonderregelungen anstandslos Folge leistete, werden langsam Einige unruhig. Klar, den „Balkonnazi“, der laut schimpfend das Fußvolk über etwaige Nichteinhaltungen tadelt, sowie den abstandsverweigernden Egojogger gab es von Beginn an, doch hat sich der Konflikt anscheinend erweitert. Einige bemängeln, die Bereitschaft, sich in diesen Zeiten zurückzunehmen, sei zu gering. Es brauche schwerere Strafgebühren und härtere Regeln. Mittlerweile gibt es nun auch den lang ersehnten Bußgeldkatalog in Berlin. Seither werden u. a. sogenannte Gruppenbildungen, egal ob im Park oder an der Spree, aufgelöst.

Soweit zumindest nachvollziehbar, schließlich soll man sich und andere ja gerade nicht einer vermeidbaren Gefahr aussetzen. Das Erstaunliche jedoch: Als kürzlich eine kleinere, nicht angemeldete Demo gegen die Corona-Beschränkungen und der damit einhergehenden Beschneidung der Grundrechte, unabhängig ob der eingehaltenen Abstandsregeln, aufgelöst wurde, hagelte Kritik auf die Teilnehmer*innen ein – u. a. von Leuten, die es, sagen wir mal salopp, schon wegen weitaus weniger auf die Straßen getrieben hat. Das Argumentationsmuster ist hierbei immer recht ähnlich: „Uns geht’s viel zu gut“, „wir sind eine Ego-Gesellschaft und halten nicht mal vier Wochen zuhause aus, man soll doch froh sein, dass man ein Dach über den Kopf hat“ und dergleichen.

Nun, man ist sich denke ich schnell einig, dass eine Demo in Coronazeiten ein ungeeignetes Mittel der Wahl ist. Doch offenbaren die dazugehörigen Kritiken, angeblich zugunsten der Schwächsten unserer Gesellschaft, derzeit auch ein politisches Desinteresse.

„Man kann die getroffenen Maßnahmen auch für richtig erachten, und trotzdem kritisch mit den Parteien umgehen, die diese erlassen haben.“

Hat der Staat für viele auf einmal eine Absolution erhalten, weil er sich in dieser Krise als souverän entfaltet? Man könnte fast meinen, die sogenannte konservative Mitte brauchte bloß einmal wieder ein richtiges handfestes Problem, um zu beweisen, dass Werte eben Mut erfordern. Die zurückeroberte Beliebtheit der CDU scheint mir hier Recht zu geben.

Klar ist, dass die Regierung den Ernst der Lage erkannt hat und die Maßnahmen durchaus ihre Berechtigung haben. Notwendigkeit ist nun mal nicht immer bequem, und auch der Vorwurf der Egogesellschaft ist nicht ganz aus der Luft gegriffen. Doch sollten uns die Angst und Ungewissheit der Krise nicht blind werden lassen vor dem, was noch passiert. Zustände, in denen die Polizei „mit Augenmaß“ darüber entscheiden soll, was bestraft wird und was nicht, dürfen keine Gewohnheitssache werden.

Denn mit der CDU ist nach wie vor eine Regierung an der Macht, die schon immer nach mehr Überwachung gestrebt hat, die seit Jahrzehnten versucht, das Datenschutzgesetz zu kippen, nach wie vor unter erhöhtem Aufwand Menschen in Krisenregionen abschiebt und sich aktuell weigert, mehr als 50 Kinder aus Griechenlands Flüchtlingslagern einzufliegen, in denen sich Corona gerade auszubreiten beginnt. Oft gibt es in den Lagern nicht einmal die Möglichkeit, sich die Hände zu waschen, geschweige denn die Abstandsregeln einzuhalten. Da grenzt es fast an Komik, wenn man zum Beispiel eine Geldstrafe von bis zu 2.500 Euro aufgebrummt bekommt, wenn man jetzt in Berlin eine Kundgebung gegen genau diese Unmenschlichkeit auf die Beine stellen will.

So undenkbar es in der aktuell emotional-polarisierten Diskussionslage geworden scheint: Man kann die getroffenen Maßnahmen auch für richtig erachten, und trotzdem gleichzeitig kritisch mit den Parteien umgehen, die diese erlassen haben.

Keine Absolution, nicht für Deutschland, nicht von Doris!

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