Interview mit Matthias Herzberg, Autor von „Andersrum in die Chefetage"

„Wir sind in der deutschen Wirtschaft längst nicht so weit, wie wir denken."

17. Mai 2022 Michaela Dudley
Matthias Herzberg

Vor einigen Wochen erschien das Buch „Andersrum in die Chefetage. Queer Karriere machen in der Männerwirtschaft“ von Matthias Herzberg, der in den letzten 15 Jahren mehr als 10.000 Führungskräfte als Trainer begleitet hat. Der schwule Autor und Geschäftsführer der best patterns GmbH wurde 2019 unter die Top 100 Out Executives gewählt. Anlässlich des IDAHOBIT* sprachen wir mit Herzberg über sein Buch und den Umgang mit Queerfeindlichkeit im Arbeitsalltag

Matthias, wie lange hast du dich mit deinem eigenen Coming-Out auseinandergesetzt? Das war ein jahrelanger Prozess des Haderns, der im Alter von 15 Jahren begann und bis zu meinem 21. Lebensjahr andauerte. Die Zeit war geprägt von Selbstzweifeln und Ängsten, Unsicherheiten und schlimmen Fantasien: Einige wenige wussten Bescheid in der Schule. Was würde passieren, wenn das rauskommt?

Wie verlief dann dein Coming-Out? Mein Coming-Out war eine Vollkatastrophe. Wenn ich ein Buch darüber schreiben würde, wie man es am besten nicht machen sollte: Meine Geschichte wäre die ideale Vorlage … Ich habe mich meiner Mutter gegenüber im Affekt als schwul geoutet. Wir hatten – wie so oft – eine heftige Auseinandersetzung und ich habe das bewusst als „Schlag” gegen sie platziert. Das war rückblickend für alle Beteiligten keine so gute Idee.

Bezogen auf meine Familie habe ich mich an vielen Stellen sehr gewundert. Am besten haben die reagiert, denen ich es nicht zugetraut hätte: Meine Großeltern. Andere Verwandte, denen ich einen offeneren Geist zugetraut hätte, haben sehr lange gedacht, „das” wäre „eine Phase" und ich hätte die „Richtige” noch nicht getroffen – und das auch unmissverständlich mir gegenüber zum Ausdruck gebracht.

Wo ist dir in deinem Arbeitsalltag Homophobie begegnet? Nach meinem ersten Studium habe ich eine Zeit als Sozialpädagoge im Gefängnis gearbeitet. Hier habe ich seitens Kolleg*innen ausnahmslos positive Erfahrungen gemacht. Es gab allerdings queerfeindliche Attacken, die von Gefangenen ausgingen. Da witterten einige sehr verlässlich jede nur briefmarkengroße Angriffsfläche. Zu der Zeit war ich noch nicht so gefestigt in meiner Rolle. Das war sehr herausfordernd für mich.

Samstags mit meinem Lebensgefährten in der Stadt unterwegs zu sein und abends stehst du plötzlich in der Fußgängerzone mehreren Gefangenen im Freigang gegenüber … Das sind Situationen, die wünscht man sich nicht. Es ist aber immer gut gegangen.

„Mir sind im Rahmen der Recherchen zu meinem Buch ungeheuerliche Geschichten begegnet."

Für wen hast du das Buch „Andersrum in der Chefetage" geschrieben? Ich möchte mit diesem Buch wachrütteln. Wir sind in der deutschen Wirtschaft längst nicht so weit, wie wir oft denken. Daher richtet es sich an die, die sich aktuell noch nicht so zeigen, wie sie wirklich sind – und an alle anderen: Straight Allies, Personalbereiche in Unternehmen, Führungskräfte egal welcher Orientierung.

Wie reagieren Unternehmen heutzutage auf Schilderungen deiner Erfahrungen z.B. bei deinen Vorträgen? Viele Menschen, die nicht Teil der LGBTIQ* Community sind oder wenig Kontakt zu queeren Menschen haben, denken: Meine Güte, es ist doch so viel erreicht. Ehe für alle, Diversity-Programme. Ist das wirklich noch ein Thema heutzutage? Muss man da noch so drüber reden? Mir sind im Rahmen der Recherchen zu meinem Buch ungeheuerliche Geschichten begegnet. Mobbing und Gaslighting, gläsernde Decken, Intrigen und offene Aggressionen. Wenn ich davon erzähle, blicke ich in bestürzte Gesichter.

„Es ist auf Vorstandsebene vielerorts leider immer noch wie im Profifußball."

Was könnten bzw. sollten Unternehmen tun, um solche Situationen zu vermeiden? Es geht primär um eine anhaltende Sensibilisierung für das Thema Vielfalt. Unternehmen sollten ganz gezielt dafür werben, sich als der Mensch zu zeigen, der man ist und Verstöße wie Mobbing und Anfeindungen auch konsequent ahnden.

Mit am wichtigsten sind mir allerdings Vorbilder auf den obersten Karrierestufen. Insbesondere sie möchte ich einladen, aus der Deckung zu kommen. Ich war sehr bestürzt darüber, wie sehr auch hier noch Ängste und Zurückhaltung regieren. Es ist auf Vorstandsebene vielerorts leider immer noch wie im Profifußball.

Was ist dir im Umgang mit Queerfeindlichkeit ansonsten noch wichtig? Mir ist es wichtig, für die eigenen Bedürfnisse einzustehen. Sich zu Wort zu melden. Nicht zu schweigen. Ja, das ist an vielen Stellen anstrengend und beschwerlich – auch für mich. Wenn ich selbst gerade an einer Fortbildung teilnehme und es kommt ein queerfeindlicher Spruch, der Referent sagt dazu aber nichts: Dann erhebe ich mich in der nächsten Pause von meinem Stuhl, auch wenn ich bequem gesessen habe, und kläre das. Ich spreche das an und sage: „Hey, das fand ich nicht okay. Ich lebe mit einem Mann zusammen, und solche Sprüche verbitte ich mir.” Und das sage ich zu dem, der das gesagt hat. Und zum Referent gehe ich ebenfalls und gebe Feedback.

Bild: Lübbe

Matthias Herzberg: „Andersrum in die Chefetage – Queer Karriere machen in der Männerwirtschaft", Lübbe

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