Tag der bisexuellen Sichtbarkeit

„Wir sind viele!“ – ein Jahr Fachstelle Bi+

23. Sept. 2025 Yara Weiss
Bild: BiBerlin e. V.
Aktivist*innen tragen eine riesige Bi-Flagge durch Berlin, beim CSD 2021

Im vergangenen Jahr existierte die Fachstelle Bi+ nur auf dem Papier. Heute ist sie ein Anlaufpunkt für pan- und bisexuelle Menschen, die Beratung brauchen oder Anschluss an die Szene suchen. Doch während die Nachfrage wächst, bleibt die Finanzierung fragil. Darüber sprachen wir mit Beraterin Caro Reiß zum Bi+ Visibility Day

In den hellen Räumen eines Berliner Altbaus arbeitet Caro Reiß für die Fachstelle Bi+ – unter anderem berät sie hier, in der Schöneberger Feurigstraße, zu Fragen rund um Coming-out, Diskriminierung, persönliche Krisen oder Beziehungsprobleme. Die Nachfrage ist so hoch, dass es bereits eine Warteliste gibt. Bi+ ist ein Überbegriff für Personen, die mehr als ein Geschlecht begehren und sich beispielsweise als pan- oder bisexuell identifizieren.

Vor etwa einem Jahr wurde mit Unterstützung der Senatsverwaltung (SenASGIVA) sowie der Landesstelle für Gleichbehandlung (LADS) die Förderung einer bi-spezifischen Fachstelle in Berlin ermöglicht – ein absolutes Novum. Zuvor gab es lediglich ehrenamtlich geführte Angebote vom Trägerverein BiBerlin.

„Wir haben drei Arbeitsschwerpunkte: Beratung, Empowerment und Sensibilisierung“, erklärt Caro gegenüber SIEGESSÄULE. „Wir sind die größte Gruppe in der queeren Community und trotzdem oft unsichtbar.“ Studien zufolge gehören etwa 20 Prozent der Bevölkerung zum Bi+-Spektrum. Da überrascht es nicht, dass zu den Beratungen Menschen kommen, die demografisch unterschiedlicher nicht sein könnten, von Anfang zwanzig bis Mitte siebzig, und oft nicht in der queeren Community verankert.

Wie Caro erzählt, berichten viele in den Beratungen von sozialer Heimatlosigkeit und Isolation – dem Gefühl, nirgendwo wirklich dazuzugehören. Während in der Mehrheitsgesellschaft bi- und pansexuelle Personen Queerfeindlichkeit erfahren, fragen sie sich in queeren Räumen oft: Bin ich hier willkommen? Muss ich erst etwas beweisen?

Bild: BiBerlin e. V.
Dana Wetzel und Caro Reiß (re.) sind in der Fachstelle tätig

Auch in der LGBTIQ*-Community seien bifeindliche Vorurteile immer noch gängig. Bi+-Personen werde häufig unterstellt, unentschlossen zu sein oder „die Wahl“ zu haben, in wen sie sich verlieben. „Ich kann nicht entscheiden, in wen ich mich verliebe“, so Caro. „Ich würde ja auch nicht zu einem schwulen Mann gehen und fragen: Hey, aber bist du sicher? Hast du auch schon alles ausprobiert, damit du ganz sicher sein kannst?“

Befragung: Was braucht die Bi+-Community?

Eine neue Befragung, die die Forschungs- und Beratungsorganisation EAF Berlin im Auftrag der Fachstelle durchgeführt hat, legt nahe, dass bi- und pansexuelle Menschen unter Biphobie leiden und mit „Unsichtbarkeit und verinnerlichten bifeindlichen Stereotypen“ zu kämpfen haben, „die sich negativ auf ihre mentale Gesundheit auswirken.“

Die Befragung deutet außerdem darauf hin, dass die „Zugehörigkeit zur Bi+/queeren Community als stärkend empfunden“ wird – insbesondere bi-spezifische Angebote für Austausch und Begegnung zu unterschiedlichen Themen werden als hilfreich angesehen. Solche Formate sind jedoch noch selten.

Einen Teil dieser Angebote decken die Fachstelle und der Trägerverein BiBerlin im Rahmen ihres Empowerment-Fokus: Es gibt das offene Bi+-Treffen im Sonntags-Club, ein FLINTA*-Meet-up, ein internationales Treffen und einen Kaffeeklatsch, der früher am Tag beginnt als die anderen Events, weil abends „nicht alle Lust oder Kapazitäten haben“. Außerdem gibt es ein moderiertes Treffen für Bi+-Personen und Partner*innen in hetero-gelesenen Beziehungen. Die Resonanz darauf sei sehr positiv.

„Wir können die Sexualität eines Menschen nicht anhand der Beziehungsperson erkennen.“

„Wir können die Sexualität eines Menschen nicht anhand der Beziehungsperson erkennen“, betont Caro. Trotzdem werde Sexualität oft in Therapie, Medizin und Forschung genau so gehandhabt und Bisexualität als Option selten mitgedacht. Die Fachstelle Bi+ setzt diesem Problem Sensibilisierung entgegen; Sie schult etwa den sozialpsychiatrischen Dienst, die Berliner Verwaltung und auf Einladung sogar die Polizei. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Thema Gewaltprävention, denn vor allem Bi+-Frauen seien überdurchschnittlich häufig von häuslicher und sexualisierter Gewalt betroffen, wie internationale Studien nahelegen.

Finanzierung ist fragil

Während die Nachfrage „exponentiell wächst“, wie Caro berichtet, bleibt die Finanzierung fragil. Für die nächste Haushaltsperiode erhoffte sich das Projekt eine Finanzierung, die dem Bedarf gerecht werden würde, doch jetzt steht eine deutlich niedrigere Summe im Raum. „Wir können nicht von einer Kürzung sprechen“, sagt Caro. Doch die Fachstelle muss bereits um ihre neu aufgebauten Angebote kämpfen, um sie trotz knapper Mittel fortführen zu können. „Es gibt ja nicht fünf andere Fachstellen – wir sind die einzigen!“

Caros Appell richtet sich an die Politik: „Bi+-Arbeit ist Demokratiearbeit. Demokratie funktioniert nur, wenn alle sicher und sichtbar leben können.“ Wer helfen möchte, darf – so Caros Wunsch, Abgeordneten schreiben oder mit ihnen darüber sprechen, warum bi-spezifische Angebote unterstützenswert sind, an den Träger BiBerlin spenden oder in anderen queeren Strukturen dafür sorgen, dass Bi+-Perspektiven aktiv mitgedacht werden.

„Wir brauchen verlässliche Förderung, Schutzräume und Ressourcen, um Angebote zu halten und auszubauen.“

Die gute Nachricht: Sichtbarkeit schafft Mut. Je präsenter die Fachstelle wird, desto mehr Menschen suchen Kontakt zu ihr – auch außerhalb queerer Szenen. Caros Wunsch fürs zweite Jahr: „Wir brauchen verlässliche Förderung, Schutzräume und Ressourcen, um Angebote zu halten und auszubauen.“ Der Bedarf sei groß: „Wir sind viele.“ Auf Fakten müssen nun auch Taten folgen.

Fachstelle Bi+
Feurigstraße 54, 10827 Berlin
Infos: biberlin.de/fachstelle-biplus

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