Zum 200. Geburtstag: Karl Heinrich Ulrichs, Pionier der Schwulenbewegung

Heute jährt sich der 200. Geburtstag von Karl Heinrich Ulrichs, der als erster bekennender Schwulenaktivist der Geschichte gilt. Er prägte den Begriff „Uranismus“ für gleichgeschlechtliche Liebe und legte sowohl den Grundstein für die Sexualwissenschaft als auch für die erste homosexuelle Emanzipationsbewegung. SIEGESSÄULE-Autor Klaus Sator erinnert an ihn
Der politische Aktivist und Schriftsteller Karl Heinrich Ulrichs wäre heute 200 Jahre alt geworden. Der am 28. August 1825 auf Gut Westerfeld bei Aurich im Königreich Hannover geborene Sexualwissenschaftler gilt als Wegbereiter der rechtlichen Gleichstellung von „Homosexuellen“, ein Wort, das es damals noch gar nicht gab.
Der studierte Historiker, Jurist und Theologe forschte und publizierte über die gleichgeschlechtliche Liebe, die er „Uranismus“ nannte. Frühzeitig sprach er sich für die Möglichkeit einer Eheschließung zwischen zwei Männern aus, die er als „urnische Ehe“ bezeichnete. Ulrichs bekannte sich öffentlich zu seiner sexuellen Veranlagung, ein zu seiner Zeit beispielloser und riskanter Schritt, wie er selbst erfahren musste.
„Rätsel der mannmännlichen Liebe“
Den Ausgangspunkt seiner Forschungen bildeten die Kriminalisierung und Verfolgung seiner Kontakte zu männerbegehrenden Männern. Im November 1854 wurde er bei der Staatsanwaltschaft denunziert. Man warf ihm vor, mit „Personen niederen Standes“ verkehrt und „widernatürliche Unzucht“ begangen zu haben.
Um einem Strafverfahren zu entgehen, bat Ulrichs um Entlassung aus seiner Stellung am Obergericht in Hildesheim. Er ließ sich in Burgdorf als Anwalt nieder, wurde jedoch aufgrund seiner gleichgeschlechtlichen Neigungen schon bald mit einem Berufsverbot belegt.
In dieser Zeit begann Ulrichs intensiv über die Natur seiner eigenen Sexualität und die anderer ähnlich empfindender Menschen nachzudenken. Aus dieser Auseinandersetzung entstand seine Sexualtheorie. Zwischen 1864 und 1879 veröffentlichte er zwölf Schriften unter dem Titel „Forschungen über das Rätsel der mannmännlichen Liebe“, die ersten Bände noch im Selbstverlag und unter dem Pseudonym „Numa Numantius“.
Ulrichs öffnete die Tür zu neuem Wissen. Seine Schriften kombinierten juristische Argumente mit anthropologischen und psychologischen Beobachtungen.
Mit seinen Arbeiten öffnete er die Tür zu neuem Wissen. Seine Schriften kombinierten juristische Argumente mit anthropologischen und psychologischen Beobachtungen. Sie begründeten seinen Ruf als „Pionier der Schwulenbewegung“ und als „Großvater der Sexualwissenschaft“.
Ulrichs übernahm zunächst den von anderen Autoren geprägten Begriff des „dritten Geschlechts“, der einen männlichen Homosexueller mit weiblicher Seele in einem männlichen Körper bezeichnete. Da ihm lesbische Frauen zu jener Zeit noch nicht begegnet waren, postulierte er ein „viertes Geschlecht“, eine weiblich Homosexuelle mit männlicher Seele in einem weiblichen Körper.
Später entwickelte er eigene Begriffe, die ihm passender erschienen: Männer, die Männer lieben nannte er „Uranier“ oder „Urninge“. Lesbische Frauen bezeichnete er als „Urnin“ und „Uranierin“. Heterosexuelle nannte er „Dionäer“ oder „Dioning“.
Einsatz gegen Kriminalisierung und Stigma
1865 stellte Ulrichs auf dem Juristentag in Karlsruhe einen Antrag auf Abschaffung derjenigen Bestimmungen aus dem Preußischen Strafgesetzbuch von 1851, die gleichgeschlechtliches Begehren als „widernatürliche Unzucht“ unter Strafe stellten. Sein Vorstoß wurde ignoriert. Zwei Jahre später auf dem Juristentag in München verursachte er mit derselben Forderung großen Tumult unter den Anwesenden und wurde niedergebrüllt. Er wurde zum politischen Gegner erklärt, vor Gericht gestellt und zu einer mehrmonatigen Festungshaft verurteilt.
Rückblickend schrieb er über seinen Auftritt: „Bis an meinen Tod werde ich es mir zum Ruhm anrechnen, dass ich am 29. August 1867 zu München in mir den Mut fand, Aug’ in Auge entgegenzutreten einer tausendjährigen, vieltausendköpfigen, wutblickenden Hydra, welche mich und meine Naturgenossen wahrlich nur zu lange schon, mit Gift und Geifer bespritzt hat, viele zum Selbstmord trieb, ihr Lebensglück allen vergiftete. Ja, ich bin stolz, dass ich die Kraft fand, der Hydra der öffentlichen Verachtung einen ersten Lanzenstoß in die Weichen zu versetzen.“
Ulrichs Denken und Handeln war ein früher Ausdruck jener Suche nach persönlicher und sexueller Selbstbestimmung, die die queeren Bewegungen bis heute prägt.
Ulrichs Denken und Handeln war ein früher Ausdruck jener Suche nach persönlicher und sexueller Selbstbestimmung, die die queeren Bewegungen bis heute prägt. Seine Gedanken zur menschlichen Sexualität und sein Einsatz für die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Liebe öffnen den Raum für vielfältige Lebens- und Liebesentwürfe.
Enttäuscht über die mangelnde Anerkennung seiner wissenschaftlichen Arbeit und die ausbleibenden politischen Erfolge verließ Ulrichs Deutschland und ließ sich in Italien nieder, wo er am 14. Juli 1895 verstarb.

In Berlin erinnert eine Gedenktafel am Magnus-Hirschfeld-Ufer an ihn. Ende 2013 wurde im Zuge von Straßenumbenennungen die nach dem preußischen Kriegsminister benannte Karl-von-Einem-Straße im Berliner Bezirk Tempelhof nach Ulrichs umbenannt, drei Jahre später auch der Teil der Straße im Bezirk Tiergarten.
Allen, die mehr über Ulrichs erfahren möchten, sei der zum 200. Geburtstag erschienene Sammelband empfohlen, in dem Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen seiner Bedeutung für die Sexualwissenschaft und die queere Community nachgehen.
Invictus – Unbesiegt.
Karl Heinrich Ulrichs zum 200. Geburtstag,
Berlin: Männerschwarm Verlag 2025,
20,00 Euro
Folge uns auf Instagram
#Geschichte#Karl Heinrich Ulrichs#Queer History#Sexualwissenschaft#erste Emanzipationsbewegung