Kommentar

Berliner Sperrstunde: „Bars werden bestraft“

9. Okt. 2020 Roberto Manteufel

Ab Samstag gilt in Berlin eine Sperrstunde für Geschäfte, Bars und Restaurants. Eine Bankrott-Erklärung des Berliner Senats, findet Initiator der Interessensvertretung „Bars of Berlin“ und SIEGESSÄULE-Redakteur Roberto Manteufel

Bestechende Logik ist nicht gerade die Stärke des Senats. Deutlicher trat das kaum zutage, als während der hysterischen Argumentationsspirale rund um die angebrachten Coronamaßnahmen in den letzten Tagen. Diese mündeten im einzigen politischen Mittel, das insbesondere ein Michael Müller und eine Dilek Kalayci offenbar kennen: Untersagen, Verbieten, die Stadt dichtmachen.

Ohne Frage, es gibt einen extremen Anstieg im Infektionsgeschehen. Niemand bestreitet das. Genauso wenig wie irgendjemand die Notwendigkeit von Maßnahmen bestreitet, um darauf zu reagieren. Die Frage ist nur, warum dieser Senat der Pandemie gegenüber scheinbar immer noch so unvorbereitet ist? Warum er blind gegenüber den Daten und Erfahrungen ist, die in den letzten Monaten gesammelt wurden, und warum er alle Bürger*innen wie unmündige Kinder behandelt?

„Menschen steckten sich in den vergangenen Wochen reihenweise an. Das hat auch Dilek Kalayci richtig erkannt – sie hat daraus nur eine verdrehte Erkenntnis gezogen: das Nachtleben ist der Übeltäter!“

Aber zur Sache. Menschen steckten sich in den vergangenen Wochen reihenweise an. Auf Hochzeiten, am Arbeitsplatz und im privaten Umfeld wie zum Beispiel auf Geburtstagsfeiern. Das hat auch Dilek Kalayci richtig erkannt – sie hat daraus nur eine bemerkenswert verdrehte Erkenntnis gezogen: das Nachtleben ist der Übeltäter! Die bösen Clubs, die zwar weiterhin reihenweise geschlossen sind, sowie die schlimme Gastronomie, Bars und Restaurants, in denen es laut Informationen der DEHOGA Berlin ganze fünf nachgewiesene Ansteckungen in der letzten Zeit gab.

Für die Gesundheitssenatorin ist das dennoch Grund genug, in polemischen Aktionismus gegenüber diesem „Nachtleben“ zu verfallen, während sie mit keinem Wort die Infektionskette von 56 Fällen erwähnt, die durch einen Schüler ausgelöst wurde. Der hatte schließlich keinen Alkohol getrunken, der für Kalayci wie für Müller offenbar mindestens genauso verdammungswürdig ist wie Corona. Beide haben durch ihre fortwährenden und sachunkundigen Aussagen über die Clubs, das Nachtleben und die Feiern von jungen Menschen vor allem eines bewiesen: Die Stadt, die sie regieren, ist ihnen fremd. Und was einem fremd ist, das stößt man am besten von sich weg. Problem erledigt.

Und genau das kann passieren. Am Ende dieses Winters wird durch ihre Politik das Nachtleben am Boden liegen, Wiederbelebung eher unwahrscheinlich.

„Es wurde kein einziger Beweis erbracht, der darlegte, dass sich tatsächlich bei nächtlicher Geselligkeit überproportional mehr Menschen mit Covid-19 anstecken.“

Um es noch einmal klipp und klar zu sagen: Während der Pressekonferenz, auf der sie die Sperrstunde verkündeten, erbrachten sie nicht einen einzigen Beweis, der darlegte, dass sich tatsächlich bei nächtlicher „Geselligkeit“ nach 23:00 überproportional mehr Menschen mit Covid-19 anstecken. Das liegt daran, dass es diesen Beweis nicht gibt.

Vielmehr plauderte der Justizsenator Dirk Behrendt den wahren Grund für die neuerliche Sanktion vergnügt auf der Pressekonferenz aus. Sinngemäß zusammengefasst: Wir sind unfähig, liebes Berlin! Unfähig die Verordnungen zu kontrollieren, die wir zuvor beschlossen hatten. Deswegen machen wir es uns einfach. Man braucht einfach weniger Beamte, um herumzufahren und zu gucken, ob überall das Licht aus ist, als wenn man in geöffneten Läden nach dem Rechten schauen würde.

„Die Mehrheit von uns hat sich in den letzten Monaten den Arsch aufgerissen, um den Herausforderungen gerecht zu werden. Und wir konnten sehen, wie sich dieser Einsatz bezahlt machte. Die Gäste hielten in immer größerer Zahl von ganz alleine die Regeln ein.“

Und genau damit kommen wir wieder zurück zum Anfang dieses Textes. Im Frühjahr war schon klar, dass dieses Virus uns lange begleiten wird. Genauso wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass im Sommer die Infektionszahlen sinken werden, um im Herbst dann wieder anzusteigen. Das ist jetzt – oh Überraschung! – passiert. Doch anstatt das Personal in den Ämtern und Behörden in der Zwischenzeit aufzustocken, geschah was? Richtig, nichts. Und wir, die Gastronom*innen dieser Stadt und zahlreiche andere Akteur*innen aus dem Nachtleben, dürfen das nun ausbaden – bei Strafe unseres Untergangs.

Dabei hat die Mehrheit von uns sich in den letzten Monaten den Arsch aufgerissen, um den Herausforderungen gerecht zu werden. Wir haben Hygienekonzepte aufgestellt und umgesetzt. Was im Übrigen mit einer Stange Kosten verbunden war. Wir haben unsere Gäste unermüdlich auf die Einhaltung der diversen Regeln hingewiesen. Und wir konnten sehen, wie sich dieser Einsatz bezahlt machte. Die Gäste hielten in immer größerer Zahl von ganz alleine die Regeln ein – sogar spätnachts unter Alkoholeinfluss. Sie lernten, sowie wie wir alle gerade lernen, mit Corona zu leben.

Das ist ein Prozess, der nicht von Heute auf Morgen vollendet ist. Aber genau das haben viele unserer werten Politiker*innen nicht begriffen: Menschen sind, man glaubt es kaum, fähig zu vernünftigem Verhalten. Stattdessen schalten sie in Berlin lieber das Licht aus.

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