„Eldorado“ Berlin: Sammlung von Texten aus 150 Jahren
Die reich bebilderte Anthologie „Eldorado“ von Marc Lippuner zeigt die wechselhafte LGBTIQ*-Geschichte Berlins aus 150 Jahren. Der Titel „Exkursionen zum anderen Ufer“ verspricht, was das Buch hält
Für viele Menschen sei „Eldorado“ das Zauberwort schlechthin, heißt es gleich im ersten Satz des Vorworts. Mehrere Lokale, in denen Homosexuelle und sogenannte Transvestiten verkehrten, hießen Eldorado: in der Kantstraße, später in der Lutherstraße und in der Motzstraße. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte ein Travestie-Cabaret mit selbem Namen an die Tradition anzuknüpfen. 1984 trug eine Ausstellung im Berlin Museum, über homosexuelle Frauen und Männer, den Titel „Eldorado“. Die erste schwul-lesbische Radiosendung Berlins, die zwischen 1985 und 1991 ausgestrahlt wurde, nannte sich wortspielerisch „Eldoradio“. Bei Netflix gibt es neuerdings die LGBTIQ*-Doku „Eldorado: Alles was die Nazis hassen“.
Bereits 2020 wurde Marc Lippuner vom B&S Siebenhaar Verlag gefragt, ob er nicht Lust hätte, eine Anthologie zur Geschichte des queeren Berlins zusammenzustellen, erinnert er sich im SIEGESSÄULE-Gespräch. Für die Reihe „Berlin im Querschnitt“, die sich Berlins Kultur, Politik und Sozialgeschichte thematisch nähert. „Ich finde es ganz wichtig, dass eine solche Anthologie in dieser Reihe erscheint, wo Texte der LGBTIQ*-Geschichte selbstverständlich neben anderen Themen stehen“, sagt Lippuner, „so erreicht das Buch auch eine andere Zielgruppe, die sich mit dem Themenfeld bislang nur wenig beschäftigt hat.“
Die Atmosphäre der Stadt spürbar machen
Aber auch für alle, die sich mit dem Themenfeld durchaus schon auskennen, ist es eine wunderbare Sammlung historischer Texte. Sie umspannt die Zeit ab 1871, als der Paragraf 175 im Deutschen Reich eingeführt und Sex zwischen Männern kriminalisiert wurde, bis 1994, als er endgültig abgeschafft wurde. „In der Corona-Zeit habe ich angefangen, Bücher noch mal zu lesen, Empfehlungen nachzugehen, Online-Archive zu durchforsten, Kolleg*innen um ihre Expertise sowie Institutionen um Material zu bitten“, erinnert sich Lippuner. „Auf der einen Seite gibt es viel mehr historische Texte über das queere Berlin, als ich anfangs vermutet hätte, andererseits waren viele, von denen ich dachte, dass sie sicher Platz im Buch finden, nicht geeignet, weil die Atmosphäre der Stadt entweder nicht wirklich spürbar oder nicht auf einen nur wenige Seiten langen Auszug destillierbar war.“ Er habe sich oft für Texte entschieden, die weniger bekannt sind und zum Teil nach dem Erstabdruck vor 90 Jahren nun erstmals wieder publiziert werden (zum Beispiel aus der Zeitschrift Die Freundin). „Wichtig war mir, dass prägnante Orte, die immer wieder auftauchen, oder Themen, die zahlreiche Autor*innen bewegt haben, vertreten sind. Und dass das Gesamtpaket einen soliden Überblick über die LGBTIQ*-Geschichte Berlins gibt, der Lust macht, sich weiter hineinzulesen und hineinzudenken.“
„Wichtig war mir, (...) dass das Gesamtpaket einen soliden Überblick über die LGBTIQ*-Geschichte Berlins gibt, der Lust macht, sich weiter hineinzulesen und hineinzudenken.“
Das ist zweifellos gelungen. Auch SIEGESSÄULE kommt natürlich wiederholt vor, wie mit dem Editorial von Peter Hedenström und Matthias Schönfelder zur Ausgabe Nr. 1. Thematisch setzt das Buch verschiedene Schwerpunkte, neben Lili Elbe, Magnus Hirschfeld oder der berüchtigten Eulenburg-Affäre zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie der NS-Zeit nimmt die Aufbruchstimmung in Berlin in den 1970er-Jahren viel Raum ein: mit Texten wie „Der erste CSD in Berlin“ oder „Geil in Neukölln“ von Mario Wirz beziehungsweise „Audre Lorde in Berlin“. Zur Aids-Zeit gibt es Texte wie „Fickt weiter!“ von Ronald M. Schernikau oder Rosa von Praunheims „Bumsen unterm Safer-Sex-Plakat“. Romy Haag sagt schließlich „Bye-bye West-Berlin“. Als literarische Exkursion folgt das Buch dem Motto: Keine Zukunftsgeschichte ohne Herkunftsgeschicht(en). Dazu kann man nur sagen: Amen!
Eldorado Berlin – Exkursionen zum anderen Ufer
Marc Lippuner (Hrsg.)
B & S Siebenhaar Verlag
240 Seiten, 25 Euro
siebenhaar-verlag.de
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