Lack, Leder, lächerliche Empörung – Puppys sind keine Gefahr für Kinder!

Jedes Jahr zur CSD-Saison flammt die sogenannte „Kink at Pride“-Debatte neu auf – darüber, ob etwa Puppys Kindern schaden würden. Auch in der LGBTIQ*-Community wird gestritten: Der CSD Bielefeld schloss erst letzte Woche Fetischgruppen aus. Hinter der Empörung steckt ein Symbolstreit, meint SIEGESSÄULE-Kolumnist Jeff Mannes, und fordert, queere Sexualität nicht länger auf ihre „Verdaulichkeit“ für die Heteromehrheit zu prüfen
Die CSD-Saison war noch gar nicht richtig vorbei, da kochte das Internet schon. Wieder einmal. Und wieder einmal ging es nicht um Gegendemos von Nazis, nicht um queerfeindliche Angriffe, nicht um die Aushöhlung von Trans*-Rechten, nicht um die hohe Zahl von Obdachlosen unter queeren Jugendlichen. Sondern: um Puppys. Um Menschen in Gummimasken mit langen Zungen und spitzen Ohren. Um Menschen, die mit einem Harness bekleidet durch die Sonne laufen. Um Fetisch auf dem CSD. Schon wieder. Und diesmal mittendrin: Ich.
Als ich für queer.lu, das Magazin des luxemburgischen Rainbow Centers, einen kurzen, meinungsstarken Text verfasste – eine kleine Verteidigung des Fetisch auf Pride-Demonstrationen – und dieser kurz darauf auch bei queer.de veröffentlicht wurde, ahnte ich nicht, welche Wellen das schlagen würde. Die einen applaudierten, andere empörten sich. Und plötzlich wurde ich auf dem rechtspopulistischen Portal NIUS des in Ungnade gefallenen ehemaligen BILD-Chefredakteurs Julian Reichelt in die Nähe von Pädokriminalität gerückt. Kein Scherz. In einem völlig entgleisten Artikel wurde mir und queer.de unterstellt, wir würden Kindern gezielt schaden wollen. Weil ich es wage, Fetisch nicht als Gefahr zu sehen. Sondern als Teil queerer Geschichte und politischen Befreiungskämpfen. Aber fangen wir vorn an.
Fetisch bedeutet nicht automatisch Sex
Immer wieder werden Menschen, die Fetisch-Outfits (wie Leder-Anzüge, Puppy-Masken, oder Harnesse) auf dem CSD tragen zum medialen Skandal hochgeschrieben. Es geht dann um angeblich „sexuelle Darstellungen“, „unverantwortliche Grenzüberschreitungen“, um „Schutz von Kindern“ – und nie, wirklich nie, um die Menschen in den Outfits selbst. Nie um ihre Biografien, ihre Intentionen, ihre Gefühle.
Dabei wäre genau das nötig. Denn Fetisch bedeutet nicht automatisch Sex. Wer von oben bis unten in Lack gekleidet ist, schadet Kinder genau so wenig wie jemand, der von oben bis unten in Sportswear gekleidet ist. Letzteres ist genau so ein Fetisch wie ersteres. Aber wer sportliche Shorts und Sneaker trägt, wird von der Mehrheitsgesellschaft selten als „kinky” gelesen. Auch Puppys, die auf allen Vieren gehen, sind nicht das Problem – sondern der Beißreflex, mit dem Öffentlichkeit und Medien auf sie reagieren.
Fetisch ist kein Monolith. Kein Porno auf Beinen. Sondern gelebte Körperpolitik.
Puppys spielen. Puppys lachen. Puppys feiern. Puppys kuscheln. Ja, manche Puppys leben diesen Fetisch auch sexuell aus – aber das bedeutet nicht, dass jede Maske eine Einladung zum Ficken ist. Die Puppy-Bewegung ist so vielfältig wie unsere Community. Es gibt asexuelle Puppys. Alte Puppys. Junge Puppys. Puppys mit Depressionen. Puppys, für die das gar nichts mit Sex zu tun hat. Puppys, die einfach eine Form gefunden haben, ihr verspieltes Selbst mit anderen zu teilen.
Und das ist der Punkt: Fetisch ist kein Monolith. Kein Porno auf Beinen. Sondern gelebte Körperpolitik.
Wenn Fetisch-Outfits auf dem CSD für mehr Aufregung sorgen als queerfeindliche Übergriffe, dann läuft etwas schief. Dann wird mit zweierlei Maß gemessen. Und dann zeigt sich, wie tief die queere Bewegung noch immer in Respektabilitätskriterien gefangen ist: Sei schwul, aber sei brav. Sei lesbisch, aber bitte unauffällig. Und wenn du schon kinky bist – dann versteck dich. Doch das ist nicht unsere Geschichte.
Der CSD war nie nur eine Parade der Mitte. Er war ein Aufstand. Gegen Polizeigewalt, gegen staatliche Unterdrückung, gegen die Cis-Heteronorm. Marsha P. Johnson war keine Wohlfühlikone. Sylvia Rivera war keine Dragqueen für die Tagesschau. Magnus Hirschfeld war kein bückerischer Anpassungs-Normalo. Die BDSM-Community, die sich mit und für uns durch die Traumata der Aidskrise gekämpft hat, war kein Puppentheater für Kinder. Sie waren wütend, laut, und unangepasst. Und sie hatten kein Problem damit, provokant für ihr Leben und ihre Rechte einzustehen.
Die Fetischszene – ob in Berlin, New York oder Luxemburg – war immer mit dabei. Sie war bei den Aids-Demonstrationen der 80er. Sie kämpfte für Safer Spaces, für sexuelle Bildung, für Safer Sex, für Freiheit und Rechte. Und heute? Heute wird sie zur Zielscheibe.
Wer schützt hier wen?
Das Argument „Was ist mit den Kindern?“ wird reflexhaft bemüht, wenn Menschen mit Puppy-Masken auftauchen. Aber das ist vorgeschobene Sorge. Keine Sorge um Kinder, sondern eine Angst vor dem Unbekannten. Eine Angst vor dem, was man nicht versteht.
Denn die meisten Kinder interessiert der Fetisch nicht. Sie sehen eine verkleidete Figur, lachen und gehen weiter. Oder sie fragen nach – und bekommen eine kindgerechte Antwort. Wer ernsthaft glaubt, ein Kind würde durch eine Gummimaske sexuell verführt oder verstört, zeigt damit nur die eigenen Fantasien. Auf offener Straße zu ficken ist verboten. Aber noch einmal: Ein Fetisch-Outfit ist noch kein Sex. Es ist erst einmal nur das: Ein Outfit.
Es ist nicht unsere Aufgabe, bei Prides brav zu wirken. Es ist unsere Aufgabe, bei Prides sichtbar zu sein. Mit all unseren Facetten – auch den schrägen, verspielten, wilden.
Wir sollten aufhören, queere Sexualität immer wieder auf ihre „Verdaulichkeit“ für die Heteromehrheit zu prüfen. Es ist nicht unsere Aufgabe, bei Prides brav zu wirken. Es ist unsere Aufgabe, bei Prides sichtbar zu sein. Mit all unseren Facetten – auch den schrägen, verspielten, wilden.
Die neue Prüderie kommt queer daher
Was mich besonders beschäftigt: Ein Teil der Kritik an Fetisch auf dem CSD kommt nicht (nur) von rechts. Sondern auch aus der Community selbst. Aus Teilen, die sich queer nennen, aber Angst haben vor Provokation.
Diese Kritik ist oft moralisch aufgeladen: Fetisch sei „krank”, gehöre ins Privatleben, man solle es einem doch bitte nicht so „aufzwingen”. Das klingt so … vertraut. So wie damals (und heute), als die Cis-Heteros uns sagten, wir seien krank. Als sie sagten, sie hätten nichts gegen uns, solange wir uns nicht öffentlich zeigen. Solange wir uns verstecken.
Die Moralpanik um Puppys auf dem CSD ist keine echte Debatte. Sie ist ein Symbolstreit. Ein Spiegel, in dem sich der Rechtsruck gegen Queers erkennen lässt. Eine Menschenfeindlichkeit, die sich kindsbesorgt gibt, aber am Ende das Gleiche will wie die Rechtsextremen: Kontrolle. Norm. Glatt- oder besser weggebügelte Queerness.
Unsere Leben sind politisch, ob wir es wollen oder nicht. In einer Welt der Trumps, Weidels, Putins und NIUS-Redakteur*innen können wir nur überleben, wenn wir aus unserer Vergangenheit lernen und zusammenstehen. So wie wir es auch bereits in der Aidskrise getan haben, als Lesben mit Schwulen und BDSMler mit Vanillas zusammenkamen und gemeinsam in einem gewaltigen Kraftakt gegen die brutale Queerfeindlichkeit zurück schlugen.

Jeff Mannes ist Soziologe, Geschlechterwissenschaftler, Sexualpädagoge und bietet in Berlin Stadtführungen zu Sexualgeschichte, Clubkultur sowie queerer Geschichte an.
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