Verfahren gegen HIV-Arzt wird eingestellt – Kläger: „Ich bin wütend!“

Der Berliner HIV-Arzt Heiko J. wurde 2014 wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt, sieben Jahre dauerte es, bis der Prozess stattfand und nach weiteren vier Jahren und einem Urteil wird nun statt Berufung das Verfahren komplett eingestellt. Warum? SIEGESSÄULE sprach mit einem der wenigen Kläger. Er ist von dem Ergebnis maßlos enttäuscht
„Ich bin wütend!“ Das ist die Reaktion von Martin* gegenüber SIEGESSÄULE nachdem er erfahren hat, dass das Verfahren gegen den HIV-Arzt – den „Arzt ohne Namen“ – vier Jahre nach der Urteilsverkündigung eingestellt wird. Gegen Martins Willen, obwohl der Richter des Landgerichts der Staatsanwaltschaft gegenüber behauptet hatte, im Sinne des Klägers gehandelt zu haben.
Kurzer Rückblick: Im April 2021 begann gegen den HIV-Arzt ein spektakuläres Verfahren (SIEGESSÄULE berichtete.) Nachdem die erste Strafanzeige im April 2014 bei der Staatsanwaltschaft wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung des Behandlungsverhältnisses eingegangen war, fand der Prozess erst 7 Jahre später statt. Von mindestens 30 mutmaßlichen Opfern, die die Spiegel-Kollegin Juliane Löffler recherchiert hatte, hatten sich fünf zu einer Strafanzeige durchgerungen. Von diesen Fällen erwies sich jedoch nur einer als ausreichend belastbar für das Gericht: der von Martin. Heiko J. wurde in diesem Fall zu 100 Tagessätzen à 300 Euro verurteilt.
„Es wäre verheerend gewesen, wenn es einen kompletten Freispruch gegeben hätte.“
Der damalige Richter Rüdiger Kleingünther sagte bei der Urteilsverkündigung: „Wir sind der Überzeugung, dass die Aussage von Martin stimmt.“ Martins Anwältin Undine Weyers sagte damals zur SIEGESSÄULE: „Es wäre verheerend gewesen, wenn es einen kompletten Freispruch gegeben hätte.“ Jetzt wurde das Verfahren nach Paragraf 153a Abs. 2 StPO eingestellt – auf juristische Laien wirkt das praktisch wie ein Freispruch. Diese Bestimmung erlaubt es, ein Verfahren nach Anklageerhebung unter bestimmten Auflagen einzustellen, wenn die Schuld des Angeklagten nicht als schwerwiegend erscheint. Üblicherweise geschieht das bei weniger gravierenden Taten. Fraglich ist jedoch, ob man dies im Fall von sexualisierter Gewalt im Rahmen einer ärztlichen Behandlung annehmen kann.
Die Pressestelle des Gerichts schreibt der SIEGESSÄULE: „Bei einer Verfahrenseinstellung handelt es sich um eine Verfahrensbeendigung ohne Urteil – und damit ohne Entscheidung über Schuld oder Unschuld. Die Unschuldsvermutung gilt in diesem Fall fort.“ Nach Paragraf 153a besteht die Möglichkeit, das „öffentliche Interesse gegen eine Geldauflage zu beseitigen“ und damit das Verfahren einzustellen. Die 45.000 Euro, zu denen der Arzt 2021 verurteilt wurde, entfallen. Jetzt muss er nur noch eine Geldauflage von 25.000 Euro zahlen.
Die Staatsanwaltschaft wollte im Sinne der mutmaßlichen Opfer handeln
Wichtig zu beachten: Das Urteil war nie rechtskräftig, da damals beide Seiten in Berufung gegangen sind. Löst sich nun die vom Gericht festgestellte Schuld in Luft auf?
Die mutmaßlichen Opfer oder Geschädigten müssen einer Einstellung des Verfahrens nicht zustimmen, nur die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte. Die Staatsanwaltschaft teilte jedoch gegenüber SIEGESSÄULE mit, sie hätte der Einstellung zugestimmt, da „eine erneute Zeugenvernehmung eine enorme Belastung für die Nebenkläger“ dargestellt hätte. Die Staatsanwaltschaft wollte also im Sinne der mutmaßlichen Opfer handeln – vor allem, da sie glaubten, dass Martin damit einverstanden sei. Gegen Martins Willen hätten sie der Einstellung auf keinen Fall zugestimmt.
Martin erklärt jedoch gegenüber SIEGESSÄULE, er hätte gerne die Berufungsverhandlung auf sich genommen. Weder er noch die Staatsanwaltschaft können gegen die Einstellung des Verfahrens vorgehen. So bleibt Martin nur die bittere Erkenntnis: Der HIV-Arzt Heiko J. ist mit seinem Verhalten durchgekommen. Die Diskrepanz zwischen den Aussagen ist befremdlich. Wie kann die Staatsanwaltschaft behaupten, Martin sei einverstanden, obwohl er selbst etwas anderes angibt? Könnte es sein, dass das Gericht Martins tatsächlichen Willen gegenüber der Staatsanwaltschaft falsch dargestellt hat, um die Einstellung des Verfahrens gegen den HIV-Arzt zu erreichen?
*Name geändert
Folge uns auf Instagram
#Arzt HIV Berlin#ArztOhneNamen#Gerichtsverfahren#HIV Arzt#Heiko J.#Prozess#sexualisierte Gewalt#sexueller Missbrauch