Kommentar

Anschlag in Colorado, Auftakt in Katar

22. Nov. 2022 Michaela Dudley
Bild: Elvert Barnes CC BY-SA 2.0 Quelle
Gedenkveranstaltung in Erinnerung an die Opfer des Angriffs auf den queeren Club Q

Bei dem Angriff auf den queeren Club Q in Colorado Springs kamen 5 Menschen ums Leben! Michaela Dudley kommentiert den zunehmenden Hass gegen die LGBTIQ*-Community

Ist die Zuflucht lediglich Zukunftsmusik? Ein Wiegenlied der auf Wolke sieben schwebenden Woke-Community? Ein Wunschtraum in einer Welt, die von sich erhitzender Intoleranz und eiskalter Indifferenz geprägt ist. Grausame Geschehnisse lassen den Eindruck immer wieder entstehen. Der sprichwörtliche Safe Space scheint eine Vision zu sein. Eine verträumte Vision, mit der wir uns zwischendurch vergnügen dürfen. Das heißt, solange wir uns mit der brutalen Tatsache begnügen, dass Terror und Tragik mitsamt tiefgreifendem Trauma wiederum zu jedweder Zeit wie aus dem Nichts zum Vorschein kommen können. Wie in der Nacht zum Sonntag in dem queeren Club Q.

Ebenjener Veranstaltungsort, vor gut zwei Jahrzehnten gegründet, war bislang nicht unbedingt in aller Munde. Er befindet sich weder in Greenwich Village in New York noch in The Castro inmitten von San Francisco. Nein, er liegt in Colorado.

Genauer genommen geht es um Colorado Springs, eine für amerikanische Verhältnisse mittlere Kleinstadt mit knapp 478.000 Einwohner*innen. Colorado Springs liegt nahezu zweitausend Meter hoch, eingebettet in den Rocky Mountains, die mit ihren schneebedeckten Bergspitzen wie aneinander gereihte Lebkuchen wirken, und zwar als hätte Gott selbst sie mit einer zuckerigen Glasur übergossen. Und an Gott glauben die Leute in Colorado Springs geradezu inbrünstig.

Selbst die Kadettenkapelle der hier beheimateten Academy der US Air Force ist nicht irgendein Sakralbau, sondern besteht aus 17 verschiedenen spitz zulaufenden, fast 50 Meter hohen Stahlgerüsten. So ähnelt das Kirchengebäude einem Geschwader voller Kampfjets in enger Flugformation. Die Stadt selbst beherbergt überdies eine nicht minder monumentale Mega-Church und ist mit christlichen Rechten der MAGA-Strömung (Donald Trumps „Make America Great Again“) reichlich bevölkert. Dementsprechend wird als sie „evangeliker Vatikan“ bezeichnet. Dass es übrigens innerhalb jener Mega-Church bereits 2007 eine tödliche Schießerei seitens eines ehemaligen Mitgliedes gab, sei ebenfalls erwähnt.

Queerfeindlichkeit in der Region

Immer wieder kommt es zu queerfeindlichen Handlungen in der Region, auch auf politisch-juristischer Ebene. Religiöse Fundamentalist*innen aus Colorado Spings hatten bereits in den 1990er Jahren mit Stimmungsmache und einer Volksabstimmung versucht, Antidiskriminierungsmaßnahmen, die der LGBTQ-Gemeinschaft Schutz boten, zu kippen. Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten schlug sich mehrheitlich auf die Seite der Fundamentalist*innen.

Ein Konditor in Lakewood, Colorado, lehnte es 2012 aus religiösen Gründen ab, einen Hochzeitskuchen für ein schwules Pärchen zu backen. Das Brautpaar zog vor Gericht. The Supreme Court gab dem Konditor recht. Allerdings gibt es Zeitgenossen*innen, die in sich selbst auch eine letzte Instanz erblicken. „Social“ Media und Kabelsender, die Queerbashing als Quotengarant betreiben, helfen bei der Selbstradikalisierung.

In der Nacht zum Transgender Day of Remembrance

Das erwies sich am letzten Wochenende: Der queere Treffpunkt Club Q, ein Dorn im Auge der Gotteskrieger*innen, erlangte unrühmliche Bekanntheit über Colorado Springs hinaus. In der Nacht zum Transgender Day of Remembrance („TDOR“), und zwar während einer Drag-Show, betrat ein in einen Tarnanzug gewandeter 22-Jähriger das Lokal mit einem AR-15-Sturmgewehr und zwei Pistolen. Der mutmaßlich homophobe, aktenkundige Bombenbauer ist überdies der Enkel eines erzkonservativen Politikers, der als Trump-Republikaner reüssiert. Der Junge ist übrigens weiß – man interessiere sich bei Gewaltkriminalität ja immer für die Ethnie, oder? Immerhin brauchte er wenige Minuten, um Unheil anzurichten. Fünf Tote und fünfundzwanzig Verletzte.

Ende der 1970er Jahre, als ich mit knapp 18 die Offiziersausbildung der Marine machte, fasste ich zum ersten Male echte Feuerwaffen an. Ich staunte über das federleichte Gewicht des völlig geladenen M-16-Gewehrs, aber auch über die Schnelligkeit, mit der ich ein paar Dutzend Schuss abfeuern konnte. Heute ist es gang und gäbe, dass blutjunge Menschen ähnliche Waffen legal erwerben und damit Bluttaten anrichten können.

Zum Glück gab es unter den Gäst*innen vom Club Q in der schicksalhaften Nacht zwei Held*innen, die im Angesicht des „Amoklaufes“ den Tatverdächtigen überwältigten. Ein ehemaliger Major des Heeres, Rich Fierro, der mit seiner Familie zugegen war, führte den Gegenangriff. Große Hilfe in den schrecklichen Sekunden erlangte er von einer beherzten Drag Queen. Ex-Major Fierro, der viel Furchtbares in Afghanistan und Irak überlebt hatte, vergoss nun Tränen im Fernsehen, als er schilderte, wie der Schwarze Freund seiner Tochter im Kugelhagel im Klub starb. Er bedankte sich auch gerührt bei der Drag Queen.

„Wo zum Teufel können wir noch hin?“

Am nächsten Tage skypte ich mit meinem Freund Carlie, der in Denver wohnt. Den Club Q hatte er früher mal besucht. Er war am Wochenende nicht dabei, er kennt keines der Opfer. Aber er ist am Boden zerstört. „Wo zum Teufel können wir noch hin?“, so wütete und weinte er. Nach Orlando, Olso und Bratislava dürfte die Frage nachvollziehbar sein.

„Das ist entsetzlich, widerlich und verheerend“, erklärte Jared Polis, seit 2019 der Gouverneur des Bundesstaates Colorado. Polis ist übrigens mit einem Mann verheiratet und ist der erste US-Gouverneur, der offen homosexuell lebt. „Mein Herz bricht für die Familie und Freunde derer, die bei dieser horrenden Schießerei verloren, verletzt und traumatisiert wurden.“

Vor diesem Hintergrund des Hasses findet parallellaufend der Anpfiff in Katar statt. Es ist ein Grauen der anderen Art, das aber dennoch mit dem Geschehen in Colorado verknüpft ist. Ein Grauen, bei dem sich die Gier gnadenlos über die Gerechtigkeit hinweg setzt. Wo bleibt der Mut, wenn es darauf ankommt, die queerfeindliche und überhaupt menschenverachtende Haltung Katars konsequent zu kritisieren? Wenn es zu viel verlangt ist, die Fußball-WM der Männer zu boykottieren, wie wäre es wenigstens mit einer richtigen Regenbogen-Armbinde, um Solidarität mit der existenziell bedrohten LGBTQ-Community zu bezeugen? Das wäre zwar nicht heldenhaft, aber immerhin human.

Michaela Dudley (Jg. 1961), eine Berliner trans* Frau mit afroamerikanischen Wurzeln, ist Publizistin, Kabarettistin, Keynote-Rednerin über Diversity und gelernte Juristin (Juris Dr., US). Zudem ist sie Autorin des Buches „Race Relations: Essays über Rassismus."

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