„täglich 100 bis 120 Hilfspakete“

Insight Ukraine hilft vom Krieg betroffenen Queers

9. Aug. 2022 Leila van Rinsum
Alex May (Erste v. links) und Olga Olshanska von Insight Ukraine

Mit der Katze in der Sporttasche sind Olga Olshanska und Alex May Anfang März aus Kiew mit dem Zug nach Berlin geflohen. Das lesbische Paar arbeitet für die LGBTIQ* Organisation Insight Ukraine. In Berlin helfen Olga und Alex anderen Ukrainer*innen und schaffen außerdem Hilfsgüter in ihre Heimat. SIEGESSÄULE sprach mit den beiden via E-Mail

Könnt ihr ein wenig über Insight Ukraine erzählen? Wir sind eine ukrainische Menschenrechtsorganisation, die Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Queers zusammenbringt. Wir haben zehn Vertretungen in verschiedenen Regionen der Ukraine. Unsere Haupttätigkeit ist der Aufbau von Gemeinschaften, Aufklärung, psychologische Hilfe und rechtliche Unterstützung. Außerdem bieten wir Unterstützung für trans* Personen bei der rechtlichen Namensänderung und Geschlechtsangleichung. Die Organisation hat auch einen feministischen Flügel und veranstaltet jährlich einen Frauenmarsch in Kiew.

2014 marschierte Russland auf der Halbinsel Krim ein, wie hat das eure Arbeit beeinflusst? Wir eröffneten in Kiew eine Unterkunft für geflüchtete LGBTIQ*. Olga koordinierte die Unterkunft fünf Jahre lang. Während des gesamten Zeitraums haben wir mehr als 500 Anträge aus der Community erhalten. 120 Menschen konnten die Unterkunft nutzen.

„Unsere queeren Familien zählen nicht einmal als Familien."

Und wie hat die jüngste russische Invasion eure Arbeit verändert? Nach dem großflächigen Einmarsch in unser Land haben wir zwei Notunterkünfte in Lemberg und Czernowitz eröffnet. Wir schicken von Berlin aus Lebensmittel, Hormone, Medikamente und Hygieneartikel in die Ukraine. Von dort aus gehen täglich 100 bis 120 Hilfspakete an die Menschen, die sie jetzt am meisten brauchen. Wir haben viele Anfragen nach Hormonen für die Trans-Community. All das war sehr schwierig, denn im März war es unmöglich, Medikamente oder Hormone zu bekommen, es gab Komplikationen bei der Versorgung mit Lebensmitteln. Partner*innen aus verschiedenen Ländern haben uns bei der Organisation sehr geholfen. Das werden wir nie vergessen.

Inwieweit sind queere Menschen anders vom Krieg betroffen? Der Krieg betrifft alle Menschen im Land. Unser wunderbares, friedliches Leben ist weg. Viele Menschen waren gezwungen zu fliehen und haben ihr Zuhause oder ihre ganze Familie verloren. Für die LGBTIQ*-Gemeinschaft als besonders verletzliche Gruppe ist es ebenfalls sehr schwierig. Schließlich haben wir in unserem Land immer noch keine Rechte. Mit anderen Worten: Unsere queeren Familien zählen nicht einmal als Familien.

„Leider stimmten Erwartungen und Realität nicht überein."

Was bedeutet das auf lange Sicht für die queere Bewegung in der Ukraine? Das kann unseren Kampf um zehn Jahre zurückwerfen. Nationalistische und religiöse Bewegungen gegen die LGBTIQ*-Gemeinschaft könnten aktiver werden, wenn nicht eine Reihe von Gesetzen verabschiedet wird, die ein toleranteres und sichereres Umfeld für LGBTIQ* gewährleisten. Infolge des Krieges ist die Psyche vieler Menschen geschwächt, und viele haben Zugang zu Waffen, das sind große Risiken.

Steht ihr in Kontakt mit Organisationen in Deutschland? Zu Anfang leiteten wir Geflüchtete an eine der lokalen Organisationen weiter, aber dann haben wir das eingestellt. Leider stimmten Erwartungen und Realität nicht überein. Wir trafen auf unprofessionelles Verhalten und mangelndes Einfühlungsvermögen. Das Bündnis Queere Nothilfe hat finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt und eine Lieferung humanitärer Hilfe nach Lemberg geschickt, dafür sind wir sehr dankbar. Außerdem haben wir Einzelspenden erhalten. Wir konnten damit den Kauf von Hilfsgütern selbst organisieren.

Was ist die große Herausforderung für ukrainische Geflüchtete in Deutschland? Viele Menschen sind verwirrt, sie sind zum ersten Mal im Ausland, kennen vielleicht die Sprache nicht, wissen nicht, wie die Gesetze sind und wie hier alles organisiert ist. Die meisten Menschen hatten nie vor auszuwandern, wir haben gern zu Hause gelebt. Das ist auch der Grund, warum viele Menschen jetzt in die Ukraine zurückkehren. Ja, es ist gefährlich dort, aber wir sind in unserer Heimat.

Insight Spendenfonds

insight-ukraine.org/en/join-donate

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