Spitzenkandidatin der Grünen: „Wir verstehen uns als Protagonist*innen der offenen Gesellschaft“

Vor der Landtagswahl am 1. September in Brandenburg sprach SIEGESSÄULE-Autorin Anette Stührmann mit den Spitzenkandidat*innen von SPD, Linken, CDU, FDP und Grünen über ihre Wahlprogramme und LGBTI-Politik. Im Gespräch mit Ursula Nonnemacher Co-Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, ging es u. a. um die Probleme mit dem Queeren Aktionsplan in Brandenburg, die Zusammenarbeit mit anderen Parteien und die Rolle der AfD im Land.
Kommunal- und Europawahl haben gezeigt, dass die Grünen nun auch im Osten auf dem Vormarsch sind. Was ist passiert? Die Zukunft ist mit uns. Wir sind mit unserer kleinen Fraktion thematisch gut aufgestellt und haben ein immenses Arbeitspensum bewältigt. Andererseits profitieren wir im Moment, auch auf Bundesebene, von der Schwäche der ehemaligen „Volksparteien“, der Unsicherheit der SPD mit ihren Dauerproblemen und Personalquerelen, und der CDU, die bei den Jugendlichen den Anschluss verloren hat. Stichwort Fridays for Future: Die CDU jammert übers Schulschwänzen; für uns ist die Bewegung ein Schub, weil unsere Themen Klima- und Umweltschutz auf einmal wichtig sind.
Aber im Brandenburger Landtag arbeiten Sie doch gut mit CDU und SPD zusammen? Auf jeden Fall. Die Brandenburger CDU hat sich in den letzten Jahren unter Ingo Senftleben auch bei Themen wie Queer und Frauen viel moderner aufgestellt als die Bundespartei und sich z. B. klar zum Aktionsplan Queeres Brandenburg bekannt. Und da hat sich auch unsere gute Zusammenarbeit mit der rot-roten Regierung ausgezahlt. Wir Grüne haben den Antrag auf den Aktionsplan ursprünglich entwickelt, dann sind Linke und SPD an uns herangetreten, und wir haben eine gemeinsame Aktion draus gemacht. Ähnlich beim Paritätsgesetz, das von uns ist, aber in einer modifizierten Form von Rot-Rot angenommen wurde.
Zum Aktionsplan Queeres Brandenburg: Als der im vergangenen Jahr vorgestellt wurde, gab es bereits Kritik, dass die Community nicht eingebunden worden war, der Plan eher eine Zustandsbeschreibung sei, Kapitel zu trans* und inter* Personen inakzeptabel seien. Und dann kam der Umsetzungsbericht erst am Ende der Legislaturperiode und damit viel zu spät. War die ganze Idee nur ein Prestigeprojekt der Grünen, das man nicht ernsthaft genug verfolgt hat? Natürlich meinen wir es ernst damit, aber die angesprochenen Probleme sehe ich tatsächlich auch, zumal sich im Umsetzungsbericht herausgestellt hat, dass mit vielen Maßnahmen noch nicht einmal begonnen wurde, Aspekte wie Mehrfachdiskriminierung von queeren Menschen mit Behinderung zum Beispiel höchstens erwähnt, aber nicht in die Umsetzung integriert wurden. Und tatsächlich haben wir den Aktionsplan erst im letzten Plenum verabschiedet, was zu spät ist. Außerdem haben wir Sorge, dass Projekte nicht nachhaltig sind, weil die Finanzierung stockt. Andererseits muss ich auch sagen: Wir haben in Brandenburg eine kleine Community und sind durch das große Flächenland sehr zerstreut, wir haben nur wenige entsprechende Vereine und Institutionen. Es braucht eben alles seine Zeit, aber dieser Teilhabeplan ist trotzdem ein irrer Erfolg, zumal alle Kräfte, die für eine neue Regierungsbildung in Betracht kommen, zu dem Aktionsplan stehen.
Es scheint so, dass die AfD den ersten Platz bei der Landtagswahl in Brandenburg machen wird ... Die AfD ist im Brandenburger Landtag komplett isoliert. Im Übrigen ist es zwar besorgniserregend und schlimm, dass gut ein Fünftel der Brandenburger*innen in Umfragen sagen, dass sie die rechte Partei wählen, andererseits hat die AfD aktuell nicht dazugewonnen, sie steht nur relativ gesehen auf dem ersten Platz, weil SPD und CDU nochmal um einige Prozentpunkte runtergegangen sind.
Wieso wählen die Leute, die sich abgehängt fühlen, nicht lieber Grün? Das mit der AfD ist kein wirtschaftlicher, sondern ein kultureller Konflikt. Deren Wähler*innen sind die Leute, denen der Wandel in der Gesellschaft zu schnell geht, die sich nach alten Rollenstrukturen sehnen, die ablehnend gegenüber Weltoffenheit sind. Wir Grünen andererseits stehen hinter unserem Wahlprogramm: „ökologisch, sozial, weltoffen“, und damit auch für Selbstbestimmung in der sexuellen Identität, für die Rechte von Minderheiten und für ein inklusives gesellschaftliches Klima. Für uns sind die Rechte der Community absolut unantastbar, in jeder parlamentarischen Auseinandersetzung halten wir die Fahne hoch. Wir verstehen uns gerade in Brandenburg, wo wir es mit einer gespaltenen Gesellschaft zu tun haben, als Protagonist*innen der offenen Gesellschaft.
Interview: Anette Stührmann
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