Woher kommt der Begriff FLINTA* – und wie sinnvoll ist er?
Wer sich in der queeren Szene bewegt, kennt mit großer Wahrscheinlichkeit den Begriff FLINTA*. Für die meisten ist auch klar, was das Akronym bedeutet. Aber die Geschichte hinter dem Ausdruck und die Frage, warum – oder ob – die Gesellschaft ihn braucht, lösen immer wieder Debatten aus. Eine Annäherung an das Thema von SIEGESSÄULE-Autor*in Samu/elle Striewski
Es lässt sich leicht auflisten, wofür die einzelnen Teile des Akronyms stehen: F für Frauen, L für Lesben, I für intergeschlechtliche, N für nicht binäre Menschen, T für trans* Personen und A für agender. Der Stern öffnet den Raum für Menschen, die vergleichbare Erfahrungen patriarchaler Gewalt und sexistischer Diskrimierung teilen, ohne sich unter einem der zuvor genannten Labels wiederfinden zu können. Umgekehrt ist vor allem eine Gruppe explizit ausgeschlossen: cis Männer.
Der Begriff selbst kann wiederum als Machtinstrument mit einer explizit ein- oder ausschließenden Funktion dienen. Denn wer fühlt sich wirklich von FLINTA* angesprochen? Oftmals vor allem diejenigen, die darüber entscheiden dürfen, wer mit FLINTA* (nicht) gemeint ist. Sie haben die Macht, Sitze in Beratungskomitees von Verlagshäusern, in Jurys für renommierte Preise oder in Regierungsausschüssen zu besetzen. Oder die Redezeit auf Demos zu vergeben, finanzielle Ressourcen zu verteilen und Menschen aus Frauenhäusern und Saunen ein- oder auszuschließen. Hinter dem Begriff verbirgt sich also nicht zuletzt eine wichtige Auseinandersetzung um gesellschaftspolitischen Einfluss und um Deutungshoheit im kulturellen Diskurs.
In der Einleitung des Sachbuchs „Lesben raus! – Für mehr lesbische Sichtbarkeit“ stellt Herausgeberin und Autorin Stephanie Kuhnen die Frage, „wie viel Inklusion eine Identitätskategorie ‚verträgt‘, bevor sie sich auflöst und entweder zu etwas anderem oder unsichtbar wird“. Es gibt keine simple oder gute Antwort auf diese Beobachtung – höchstens zwei schlechte Versuche. Der erste ist populistischer Natur, strukturell transmisogyn und suggeriert Einfachheit, wo keine ist: Die oben genannten Schutzräume und Ressourcen sollten etwa ausschließlich für „biologische Frauen“ und „echte Lesben“ offen sein. Unter den Tisch gekehrt wird hier, dass die Kriterien zur scheinbar klaren Identifikation eben nicht so einfach festzulegen sind.
Der zweite Antwortversuch weicht den Begriff FLINTA* wiederum so sehr auf, dass jeglicher Ausschluss am Ende per se für falsch erklärt werden kann. Dieser Ansatz verhindert den Aufbau effektiver Schutzräume für Menschen, die patriarchale Gewalt erfahren und verunmöglicht die bestehenden Hierarchien und Diskriminierungsformen – auch innerhalb der queeren Community – zu benennen und hinterfragen. Somit scheint weder eine starre Begrenzung noch eine zu starke Aufweichung des FLINTA*-Begriffs eine gute Lösung zu sein.
Von FrauenLesben- zu FLINTA*-Räumen
Schauen wir in die Entwicklungsgeschichte des Akronyms, genau genommen in die 70er- und 80er-Jahre: Damals wurde intensiv darüber gestritten, wer das Subjekt der feministischen Bewegungen sei. Die voreilige Antwort „Na, Frauen!“ war für einige Teilgruppen, darunter Lesben, trans* Menschen, Schwarze Frauen und Arbeiterinnen, nicht länger überzeugend. Mit „Frau“ wurde allzu oft nur die Erfahrungen von cis-geschlechtlichen, heterosexuellen, weiblich gelesenen und weißen Frauen artikulierbar gemacht.
Da in der autonomen Frauenbewegung immer wieder die Arbeit von Lesben unsichtbar gemacht wurde, endete die Debatte in Deutschland schließlich in der sprachlichen Übergangslösung „FrauenLesben“, oder auch „Frauen*“.
Stephanie Kuhnen erzählt im Gespräch, dass es sich aber auch bei „Lesbe” keineswegs um ein geschichtsloses, unkompliziertes Wort handele. Für sie und viele ältere Lesben sei diese Selbstbezeichnung damals ein Identitätsangebot gewesen, das nicht nur die sexuelle Orientierung, sondern eine umfassende Lebensform ausdrückte. Damit wurde versucht sich der patriarchalen „Frau-isierung“ und „heterosexuellen Zurichtung auf Männer“ zu entziehen. Die Aneignung des oft als Schimpf- und Pornowort missbrauchten Begriffs „Lesbe” sei etwas anderes gewesen als eine Eins-zu-eins-Übersetzung von „frauenliebende“ oder „homosexuelle Frau“.
Vielmehr habe der Begriff einen utopischen Möglichkeitsraum geöffnet, um von dort „etwas anders machen zu können“, im Vergleich dazu, „wenn du als Frau positioniert bist“. Gleichzeitig wurde damit das vorgegebene Begehren und Sein boykottiert.
Auch Peggy Piesche, eine wichtige Stimme des deutschen Schwarzen Feminismus, schrieb 2015: „Lesbische Sichtbarkeit in einer weißen Gesellschaft kann ohne die Thematisierung von Rassismus nicht wirklich erreicht werden, denn: Sichtbarkeit kann nie nur die eigene sein.”
„Lesbische Sichtbarkeit in einer weißen Gesellschaft kann ohne die Thematisierung von Rassismus nicht wirklich erreicht werden.”
Und als sich in den 90er-Jahren immer mehr trans* Männer trauten, sich auch innerhalb der lesbischen Community zu outen, wurden auch Trans*-Männlichkeiten zur Herausforderung für voreilige Einteilungen in „Frauen” und „Lesben” – neben Kategorien wie Butch oder Dyke.
Die zunehmende Sichtbarkeit von trans* Personen, die Aufklärung über die Existenz und Lebenserfahrungen von intergeschlechtlichen Personen, sowie die wahrgenommenen Identitätsangebote nicht binär und agender verdeutlichen, dass „FrauenLesben“ oder „Frauen*“ keine umfangreiche Benennung mehr war. Die Bezeichnung war nicht präzise genug, um alle Gruppen mit ähnlichen – wenn auch nicht identischen – Diskriminierungserfahrungen anzusprechen. Vor allem trans* Männer, die schon genug dafür kämpfen müssen, als männlich akzeptiert zu werden, fanden sich nachvollziehbarerweise in Begriffen wie „Frauen*“ oder „FrauenLesben“ nicht wieder.
Hatte der Begriff „FrauenLesben“ für Stephanie Kuhnen in den 90er-Jahren noch für Größe und Offenheit gestanden, mussten durch die Veränderungen innerhalb der Bewegung neue Begriffe her: zunächst FLT*, FLTI* und FLINT*, später FLINTA*.
Dialog statt Frontenbildung
Ob der Begriff FLINTA* leistet, was er verspricht, ist debattierbar – und so sollte es sein. Statt voreiligen Frontenbildungen brauchen wir weiterhin ernsthafte Streitgespräche darüber, wie wir auf existierende gesellschaftliche Ungerechtigkeiten auch sprachlich angemessen reagieren können.
Fühlen sich Zugehörige der ILTA*-Gruppe, die vielerorts als männlich gelesen werden, in „FLINTA* only“-Räumen wohl? Sind Organisator*innen von FLINTA*-Spaces ausreichend für Transfeindlichkeit und vor allem Transmisogynie sensibilisiert? Wird von Teilnehmer*innen an FLINTA*-Events ein bestimmtes Passing – oder gar ein Outing, an der Tür erwartet? Wird der Begriff FLINTA* unreflektiert als Synonym für „Frauen“ verwendet? Wie wohl fühlen sich cis Frauen of Color in FLINTA*-Spaces? Und warum kommt das L explizit vor, aber nicht das B – wo doch bisexuelle Frauen mindestens genauso viel für die feministischen Kämpfe geleistet haben wie ihre lesbischen Mitstreiterinnen?
Der Begriff „queer“ hat vieles geleistet, aber auch dieser scheitert oft daran, geschlechtsbasierte Gewalt – auch innerhalb der queeren Community – sichtbar zu machen. Wie lassen sich also solidarische Räume schaffen, die sich nicht nur auf die sichtbaren Merkmale begrenzen? Diese Frage lässt sich nur im kritischen Dialog und nur gemeinsam beantworten.
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